
Um 7 Uhr rollen wir ins Parkhaus des H+ Hotels Frankfurt Eschborn, keine 200 Meter vom Startbogen des Radklassikers Eschborn Frankfurt entfernt. Mein Freund Christoph ist ganz entspannt, er unterstützt das Team des VGF Handbike-Rennens, das im Rahmen der ADAC Velotour stattfindet, seit ein paar Jahren. Ich weiß nicht, was mich erwartet, da ich zum ersten Mal als Begleitfahrer dabei bin. Vorfreude und positive Anspannung beschreiben es wohl am treffendsten.
Im Parkhaus sind die Athletinnen und Athleten schon dabei, ihre Handbikes zu entladen und sich vorzubereiten. Mir fällt schon beim Aussteigen die positive Atmosphäre auf. Alle gehen freundschaftlich miteinander um, die Stimmung ist top! Das Wetter im Übrigen auch: Die Sonne steht am blauen Himmel, es ist windstill. Bessere Rennbedingungen gibt es nicht. Nach ein paar Minuten ist mir klar, dass alles genauso ist, wie bei allen Radrennen. Luftdruck in den Reifen wird gecheckt, ein paar Gels oder Riegel werden verstaut, Trinkflaschen aufgefüllt, zwischendurch alte Bekannte begrüßt, dumme Sprüche und Witze gemacht. Und doch ist alles anders: Die Bikes haben drei Räder, die Athletinnen und Athleten liegen wenige Zentimeter über dem Teer, die Köpfe auf Kniehöhe eines Radfahrers. Ich bekomme eine erste Ahnung, warum Radfahrer als Begleiter nötig sind.
Die Terrasse des H+ Hotels ist unser Basislager für das Rennen, hier sammeln sich langsam die Begleitfahrerinnen und -fahrer und das Orga-Team. Einige sind alte Hasen, einige sind, wie ich, zum ersten Mal dabei. Gesprächsthemen finden sich schnell, die gemeinsame Begeisterung für den Sport verbindet. Ich trinke einen Kaffee, creme mich zur Sicherheit mit Sonnencreme ein und warte, wie es weitergeht. Auch hier liegen Vorfreude und eine gewissen Anspannung in der Luft. Dann gibt es ein Briefing für uns. Die Gruppen werden zugeteilt und unsere Aufgaben während des Rennens erklärt. Wir haben im Grunde genommen zwei Jobs: Wir sorgen zum einen dafür, dass die Handbikerinnen und -biker genug Platz haben, sie nicht von den anderen Teilnehmern geschnitten werden und wir stellen sicher, dass die Radfahrerinnen und -fahrer sie rechtzeitig sehen. Zum anderen sagen wir den Handbikerinnen und Handbikern Kurven oder Abzweigungen an, wenn sie keine freie Sicht haben. Zur Erinnerung: Sie sind mit ihren Köpfen auf Kniehöhe der anderen Teilnehmer, fahren sie in einer Gruppe oder werden sie von einer überholt, sehen sie nur Räder, sonst nichts. Die wichtigste Info für mich: Im Rennen findet ihr dann schon eine Athletin oder einen Athleten.
Die Aufregung steigt, es ist mittlerweile kurz vor dem Start. Wir rollen zur Startaufstellung, wenige Augenblicke später fällt der Startschuss – und wir sind auf der Strecke. Rund 40 Kilometer hat die ADAC Velotour Skyline-Runde. Und spätestens ab jetzt ist alles anders als ich es mir vorgestellt hatte. Nach wenigen Hundert Metern sind die stärksten Handbiker nicht mehr zu sehen, sie legen ein unfassbares Tempo um 40 Km/h vor. Das war im Briefing zwar gesagt worden, aber wie es dann wirklich ist, erwischt mich auf dem falschen Fuß. Ich nehme etwas Gas raus, und nach zwei oder drei Kilometern finde ich tatsächlich meine Athletin. Ab hier fahre ich mit Kerstin Abele. Während ich links neben ihr fahre, sichert ein weiterer Begleiter, Matthew, nach hinten ab – immer mit genügend Abstand, denn auf die Stoßstange des Handbikes möchte man lieber nicht auffahren.
Kerstin ist ziemlich schnell unterwegs. Auf Geraden sind es regelmäßig über 35 oder 36 Km/h, manchmal mehr. Wenn wir von Gruppen aus den später gestarteten Startblöcken überholt werden, wird es stressig. Ich erhöhe den seitlichen Abstand zu Kerstin etwas, damit sie Platz hat. Matthew macht die Nachhut, ist die Absicherung nach hinten. Nahezu alle Radfahrerinnen und -fahrer nehmen Rücksicht, sind sportlich fair. Nur wenige kommen uns so nah, dass sie meinen seitlich ausgestreckten Arm in Kurven berühren. Viele zeigen den Daumen nach oben, feuern Kerstin an. Mein Respekt für ihre Leistung steigt von Minute zu Minute: Wenn ich Stress habe, wenn uns Gruppen überholen, wie muss es dann für sie sein? Räder, überall Räder und kein freier Blick auf die Strecke. Dazu das hohe Tempo durch die Frankfurter City.
Wir grooven uns ein, sind als Dreierteam gut unterwegs. Nur an wenigen Stellen müssen wir die Richtung ansagen, vor allem dann, wenn es etwas unübersichtlich wird oder wir gerade von einem Pulk überholt werden. Kerstin gibt unbeirrt Gas. Nur wenn es bergauf geht, wird sie langsamer. Bergauf sei nie ihr Ding gewesen, sagt sie. Kein Wunder: Sie muss das alles aus den Armen ziehen. Wir Begleiter können uns berghoch etwas ausruhen, kurz trinken und den Blick auf die Landschaft oder die Frankfurter Skyline genießen. Bergab ist ein anderes Thema, ein ganz anderes. Kerstin – und die anderen Handbikerinnen und Handbiker natürlich auch – geht ab wie eine Rakete. Rollen lassen ist nicht drin, mal einen Tritt auszulassen auch nicht. Bergab sind ordentlich Watt gefragt, sonst verliert man sie aus den Augen. Der Blick ist auf der Straße, nicht mehr auf der Skyline. Die Stimmung unterwegs ist top. Die zahlreichen Zuschauer feuern Kerstin und alle anderen Teilnehmer an, machen ordentlich Radau.
Und bevor ich es richtig bemerke, biegen wir auf die Zielgrade ein. Matthew und ich rollen aus, Kerstin zieht nochmal voll durch. Am Ende fährt sie bei 1:33:18 über die Ziellinie, ein starker 25er-Schnitt. Sie strahlt mit der Sonne um die Wette, da sie ihre bisherige Bestzeit um etwa vier Minuten verbessert hat. Wir machen ein gemeinsames Zielfoto und rollen gemütlich zurück zum Hotel.
Insgesamt waren 21 Athletinnen und Athleten beim VGF Handbike-Rennen am Start, 3 Frauen und 18 Männer. Schnellster Mann war Vico Merklein, mehrfacher Deutscher Meister, erfolgreicher WM-Teilnehmer und vierfacher Medaillen-Gewinner bei den Paralympics. Mit einem 38er-Schnitt ist er die Strecke in 1:01:13 durchgeballert. Das fahren wenige der Jedermänner mit dem Rad. Anne Vosgerau war die schnellste der Frauen: 1:13:32 bedeuten einen 31,5er Schnitt, den auch nicht gerade viele Freizeitradler fahren können.
Die Stimmung nach dem Rennen ist gelöst, alle sind happy und entspannt. Reihenweise gab es bei den optimalen Bedingungen neue Bestzeiten. Jetzt ist wieder alles wie immer: Es wird gelacht, gequatscht, gescherzt. Alle stärken sich, trinken ein alkoholfreies Bier zusammen und tauschen sich zum Rennen aus. Sportler unter sich. Nach der Siegerehrung löst sich die Gruppe langsam auf, zum Teil stehen lange Heimfahrten an. Und ich freue mich schon auf das nächste Jahr und den nächsten Start bei Eschborn-Frankfurt. Vielleicht wieder gemeinsam mit Kerstin. Locker verabredet haben wir uns schon.
Tobias Kintzel