Ebermannstadt, Bericht zweier Newcomer

Ebermannstadt, Bericht zweier Newcomer

Danke an Raphael Gaus und Nils Hendrik Müller aus Braunschweig

Ebermannstadt 2024

Noch wenige Sekunden bis zum Start. Links vor mir versperren mir CarbonAerofelgen die Sicht auf einen Teil des Starterfeldes, welches in Carbonrädern so tief über dem Boden liegt, dass man im normalen Leben fast darüber stolpern könnte. Ein gewisser Vico sagt im Interview mit dem Moderator noch ein paar Worte zu seinem Streckenrekord, dann zu seinem Weltrekord… ein Blick nach links. Mein Freund lacht mich hoch sitzend aus seinem TourenHandbikean, welches hier wirkt wie ein Hollandrad bei der Tour de France, grinst noch einmal… wir sind quasi das pendant zur jamaikanischen Bobmannschaft. Dann fällt der Startschuss und wenige Sekunden später sind wir verblüfft und allein. Alle weg.

Ehrlich gesagt habe ich mir nicht viel dabei gedacht, als ich vor einem halben Jahr meinem gehbehinderten Freund ungefragt ein Handbike vor die Nase gestellt habe. Ich fand einfach, dass es eine gute Alternative zum heimischen Sofa sein könnte und hatte maximal ein wenig Bedenken, dass er die Idee als übergriffig empfindet und mir die Freundschaft kündigen könnte. Das Gegenteil war der Fall, einen Tag später stand ich im strömenden Regen als Trainer und Chefmechaniker unter einem Schirm und begleitete die ersten Testrunden. Zwei Wochen später äußerte der ehemalige Marathonläufer den Wunsch, wieder an einem Marathon teilzunehmen. Ich beschloss umgehend, ihn zu begleiten und besorgte ein zweites Handbike. Als ich es heimlich abends aus dem Auto auslud, rollte Raphael gerade an meiner Einfahrt vorbei. Damit war klar, wir ziehen das durch. 

Die ersten Meter nach dem Start gehen gut. Wir haben im Vorfeld Windschatten Fahren geübt, um Raphael trotz 3 Wochen stationärem Krankenhausaufenthalt im August, sicher ins Ziel zu bekommen. Dann geht es leicht bergab. Raphael ist einen Moment unaufmerksam, ich habe vergessen in den Rückspiegel zu schauen und schon liegen die ersten 200 Meter zwischen uns. Warten, aufschließen lassen und weiter. Nach der Wende der erste Abschnitt leicht bergan. Wir kommen aus dem Norden, solch eine Erhebung hätte bei uns schon einen Namen und ein Gipfelkreuz. Ich kämpfe gegen den Gegenwind und die Steigung, Raphael hält sich bis zur ersten Zieldurchfahrt dicht im Schatten. Wir fahren brüllend durch die Start-Zielpassage, um unaufmerksame Marathonläufer von der Bahn zu scheuchen. 

Einen Tag vorher ist uns langsam aufgegangen, dass es sich zumindest für die Handbiker nicht um einen klassischen Marathon handelt. Wir hatten mit einer dreistelligen Teilnehmerzahl gerechnet. Natürlich gibt es die Cracks an der Spitze. In Berlin läuft Kipchoge Weltrekord, aber eben auch Herr und Frau Meier, um sich noch einmal was zu beweisenoder einfach um ein wenig Sport zu treiben. Als frisch gebackene Handbiker, sahen wir uns plötzlich im exklusiven Feld zwischen Olympiateilnehmern, deutschen Meistern, Weltrekordhaltern und StreckenrekordaufstellerInnen. Ich fühlte mich ein wenig beobachtet. Natürlich fällt es auf, wenn in einem so kleinen Kreis plötzlich zwei neue Gesichter auftauchen. Natürlich bleibt es auch nicht verborgen, wenn sich eines dieser Gesichter die Startnummer zu fuß abholt. Ich fühle mich unwohl in meiner Rolle als einziger Starter ohne Behinderung. Ich erinnere mich an Raphaels Wunsch, meinen Auftrag als Windschattengeber und drücke die Gedanken beiseite. Die freudige Begrüßung von Thomas Landgrebe und das anschließende Abendessen hat mich ein wenig beruhigt. Jetzt wussten wir mehr über den Ablauf, die Szene, den Sport. Ich habe mich erwischt, wie ich den ganzen Abend auf Thomas Oberarme gestarrt habe, um anschließend an mir selbst herunter zu schauen. So wie sonst beim Start meiner Radsportevents die Oberschenkel der Konkurrenz beäugt werden. Wir werden die Letzten, so viel steht fest. 

Kurz nach der Startzieldurchfahrt kam die erste ernstzunehmende Steigung. In der Spitze knapp 6%. Mehr als wir im Training bisher je gefahren sind. Mit Raphael in meinem Windschatten verschalte ich mich, wir verlieren einen Sack voll Geschwindigkeit, kämpfen uns wieder hoch. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf meinem Bordcomputer sinkt. Raphael hat sich gewünscht, einen Marathon unter 2 Stunden abzuschließen. Das motiviert mich. Wir arbeiten uns einen Puffer zu unserer Zielzeit heraus bis… bei Kilometer 22 von hinten ein kleinlautes „IchMussMal“ kommt. Nach meinen Radrennen der vergangenen Jahre halte ich das zuerst für einen passablen Witz, bis ich Raphael im Rückspiegel abbremsen sehe. Ich rolle langsam weiter, schaue auf die schmilzende Durchschnittszeit, bin mir sicher, dass das besser niemand erfährt. Nach endlosen Minuten holt mich Raphael bei der zweiten Kehre ein. Das verlorene Gewicht, gibt ihm offensichtlich neue Kraft. Unser Plan der Wasserversorgung geht derweil nicht auf, Raphael hat hinten unsere Flaschen, aber die Übergabe kostet zu viel Zeit. Der Versuch an einer Station im Vorbeifahren Getränke aufzunehmen, endet für mich mit einem halb abgeräumten Tisch und beim zweiten Versuch mit einem am Hinterreifen verbrannten Oberarm. Wir werden schneller und schneller, die Pace steigt, das Ziel scheint in greifbarer Nähe. Vier Kilometer vor Ende dann der Einbruch. Jemandem einen Wunsch zu erfüllen, ist die eine Sache, sich dabei vollkommen zu übernehmen, die andere. Jetzt feuert Raphael mich von hinten lautstark an, fährt an meinen Stoßfänger, schiebt, um mich zu motivieren. Die entgegen kommenden Marathonläufer rufen uns zu, applaudieren, das hilft über die letzte Hügerlkuppe. Bergab in Richtung Ziel knacken wir erstmals in unserer kurzen Karriere die 50km/h. Der Blick auf die Uhr… wir haben unsere Zielzeit und unsere bisherigen Rekorde, um über 10 Minuten unterboten. Wir fahren auf die zweite Nachkommastelle exakt gleichzeitig durchs Ziel. HandInHand. Geschafft, vorbei. Ich schaue zu Raphael und habe selten einen so stolzen und zufriedenen Menschen gesehen. Das Ziel ist erreicht. Wir sind in unserer Klasse erwartungsgemäß die Letzten geworden. ( Anmerkung vom NHC Deutschland —> In der NHC-Gesamtliste ist noch bei einer weiteren Teilnahme in diesem Jahr die Platzierung in der TopTen möglich 😉)
Ein Ende? Ich schaue mir Raphael genauer an und sehe, dass das wahrscheinlich erst der Anfang war.

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